Die Idee der Patienteninformationszentren wurde 1995 nach einem Besuch im Beth-Israel-Hospital in Boston (USA) nach Deutschland geholt. Diese Klinik war damals bekannt für ihre professionelle Pflegeentwicklung (Magnethospital), der Besuch galt eigentlich dem Primary Nursing System. Beiläufig wurde das neue „Patient-Learning-Center“ besichtigt, damals auch ein Modell für die USA. Diese Biblio-Mediothek für Patienten und Familien lag im Eingangsbereich der Klinik und wurde vielfach genutzt, auch von den niedergelassenen Ärzten in Boston, sie schickten Patienten konsiliarisch zu edukativen Aktivitäten. Das Learning Center stand unter pflegerischer Leitung, eine Gruppe von Experten entwickelten die Angebote, Broschüren, Schulungsprogramme, Patientenfilme, Evaluationskonzepte.
Die Begeisterung über das „Patient-Learning-Center“ wurde mit nach Deutschland genommen und fiel zusammen mit dem Start des ersten universitären Studienprogrammes Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke. Eine Ausschreibung unter den Kooperationspartnern des Instituts ergab mehrere Interessenten für den Aufbau einer ähnlichen Einrichtung. Zwei Partner gingen an den Start: das Märkische Klinikum in Lüdenscheid und der ambulante Pflegedienst Sprenger in Lippstadt. Eine studentische Arbeitsgruppe entwickelte zusammen mit den Praxispartnern die Konzepte, einzelne Mitglieder reisten noch einmal nach Boston. 1999 wurde dann im Lüdenscheider Krankenhaus das erste „Patienteninformationszentrum“ (PIZ) in Deutschland eröffnet, gleichzeitig etablierte sich der Verein, um weitere Aktivitäten zu bündeln.
Entwicklung
Das Patienteninformationszentrum im ambulanten Bereich musste nach Jahren aufgeben, trotz großen Engagements aller Beteiligten war eine dauerhafte Finanzierung nicht zu sichern. Über Projektgelder, Anbindung an eine Rehabilitationsklinik und andere Schritte konnten Monate gesichert werden, mehr aber nicht. Zu dieser Zeit war ein Bewusstsein zur Wichtigkeit von „Gesundheitskompetenz“ der Patienten/Familien kaum entwickelt. Immerhin konnten in Krankenhäusern Stellen eher aus dem Gesamtbudget finanziert werden. Auch dies nur zögerlich, so dass nicht immer eine tägliche Öffnung zu Kernzeiten ermöglicht werden könnte.
Insgesamt ist es eine große Leistung des Vereins, diese Aufgaben auch als Segment der Pflegeberufe zu entwickeln – durchaus im gesamten deutschsprachigen Raum.
Ein „PIZ“ besteht eigentlich aus einer gut zugänglichen Biblio-Mediothek für alle Gesundheitsinteressierten, immer wieder stellte sich die Frage, welche Einrichtungen eigentlich die Anforderungen erfüllen. Die Mitgliederzahlen im Verein entwickeln sich langsam, dazu gehören wenige „richtige PIZes“, engagierte Einzelpersonen, Angebote, die vor allem im Rahmen der Pflegeversicherung unterwegs sind (Pflegewerkstatt).
Irgendwann reifte die Entscheidung, alle Engagierten im Verein zusammenzufassen: dazu gehörten etwa die (früheren) Gütersloher Mitglieder, mit einem Angebot in der Stadtbücherei unter dem Oberbegriff der Selbsthilfeförderung, weitgehend ohne Beteiligung der Pflegeberufe. Öffentliche Bibliotheken sind weiter interessant als Fundstellen für Pflegeinformationen. Inzwischen entstand aus den Krankenhäusern ein Entlassungsmanagement, auch hier sind Information und Beratung wichtig: so widmen sich einige Mitglieder eher der Pflegeüberleitung. Es zeigt sich immer mehr, dass das Entlassungsmanagement/die Pflegeüberleitung eigentlich wichtige Orte sind, um die Patienten und Familien auf Pflegesituationen vorzubereiten, bis hin zu klärenden Gesprächen zur Gestaltung der Pflegesituation (Moderation). Allerdings verstehen sich Programme des Entlassungsmanagements und ihre „Case-Managerinnen“ oft eher als rasche Durchschleuser im klinischen Prozess. Die Entwicklungen in den letzten zehn Jahren zeigen, dass die Kostenfragen hier tief in die Pflege wirken – kaum sind Möglichkeiten aus Sicht einer Professionalisierung der Pflege entstanden.
Andere nutzen vorwiegend die Möglichkeiten im SGB XI Bereich, bieten Pflegekurse an, organisieren häusliche Einzelschulungen (z.B. als „Pflegewerkstatt“). Durch die Pflicht zur Pflegeberatung im SGB XI sind allerdings verschiedene Berufsgruppen „unterwegs“, kommunale Pflegeberatungsstellen werden oft durch Verwaltungsleute besetzt, Pflegeberater in Versicherungen sind Sozialversicherungsfachangestellte, in Demenzberatungsstellen agieren häufig Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen. Leider fehlt oft die Doppelqualifikation: sowohl in Pflegefragen, als auch in sozialrechtlichen Belangen ansprechbar zu sein.
Das Spektrum der Vereins-Mitglieder ist verschieden, die meisten kommen aus einem Pflegeberuf und sie eint das Interesse, Pflegeaufgaben deutlicher um beratende und informierende Aspekte zu erweitern. Leider ist auch die Namensgebung der Einrichtungen nicht immer unter „einen Hut“ zu bringen: eigentlich wäre es wichtig, die Marke „Patienteninformationszentren“ zu sichern. Aber so unterschiedlich wie die „Geldtöpfe“ vor Ort sind auch Bezeichnungen.
Zu Beginn der Entwicklung wurde angestrebt, dass Patienten/Familien vielerorts Patienteninformationszentren aufsuchen können: in Kliniken, Pflegeberatungsbüros (-stützpunkten), in Medizinischen Versorgungszentren, bei den Versicherern, in Altenwohnanlagen, Kurzzeit- und Tagespflegeeinrichtungen.
Aber die Entwicklung hier ist allmählich und hängt von engagierten Einzelpersonen ab. In den USA gehören Wissens-„Tankstellen“ für Patienten inzwischen zu Qualitätskriterien im Rahmen einer Zertifizierung. Dies gilt in Deutschland nicht, nicht einmal zur Zertifizierung eines Zentrums für spezielle Krankheiten. Es ist verwunderlich: eigentlich müsste doch die Unterstützung der Patienten mit ihrer Krankheit in ihrem Alltag leben zu können im Vordergrund stehen!
Erfahrungen
Zu den ersten Erfahrungen gehörte auch der Eindruck, dass die Patienten mit ganz unterschiedlichen Anliegen in die PIZes kommen, zum Teil geht es um Orientierung (wo ist, wie komme ich..?), oder um den Umgang mit speziellen Beschwerden. Die Hauptgruppe der Ratsuchenden kommt mit Gesundheitsfragen, zum Leben mit der Krankheit. Die Klienten unterscheiden durchaus den ärztlichen Auftrag der Aufklärung von dem pflegerischen Auftrag der Alltagsbewältigung. Dabei gibt es aber immer wieder Übersetzungs- oder Vermittlungstätigkeiten, etwa wenn der Arzt nicht verstanden wurde. Die Fragen, die Pflegenden gestellt werden, sind anders als die Fragen an den Arzt: kann ich damit schwimmen gehen? Darf ich meinen Hund behalten? Darf ich Alkohol trinken? Kann ich damit nach Spanien reisen?
Trotzdem: Niemand kann in einem Patienteninformationszentrum all diese Fragen beantworten. Häufig muss vermittelt werden, an die Fachleute vor Ort. Die Mitarbeiterinnen im PIZ sind eher zuständig für die Informationsbeschaffung, weniger für die individuelle Beratung bei spezifischen Krankheiten (meistens kennen sie den Patienten nicht so gut). Aber: in allen Berichten wird deutlich, dass es den Patienten/Angehörigen gut tut, dass ihnen überhaupt jemand zuhört, sich Zeit nimmt.
Praxiserfahrung ist wichtig für die hauptamtliche Arbeit im PIZ, deswegen sollten verschiedene „Experten“ dort teilweise tätig sein. Ein gutes Beispiel liefert dazu das PIZ im Herzzentrum Bad Krozingen: Pflegende von der Station teilen sich die Arbeit im PIZ. Sie berichten, dass sie sich in unterschiedlichen Rollen erleben.
Die Patienteninformationszentren zeigen ein unterschiedliches Profil, haben verschiedene Schwerpunkte und Rahmenbedingungen. Zum Teil werden auch hauseigene Online-Lernprogramme für Patienten aufgelegt, zum Teil ist die Datenerfassung gut vorangeschritten. Alle PIZes sind in ihren Häusern bekannt, sie pflegen Kontakte zu örtlichen Akteuren, führen Aktionstage durch. Manchmal treten Mitglieder bei, die überhaupt erst ein Patienteninformationszentrum planen. Andere Mitglieder möchten einfach die „sprechende Pflege“ voranbringen, z.B. Lehrer unterschiedlicher Pflegebildungsgänge oder die KollegInnen der Pflegewerkstätten, die sich im Bereich der Pflegeversicherung engagieren oder interessierte einzelne PflegeberaterInnen.
Evaluation
Nach eineinhalb Jahren Betrieb in Lüdenscheid wurde 2001 eine kleine Geldsumme zur Verfügung gestellt, um die Arbeit des PIZes in Lüdenscheid extern zu evaluieren. Die monatlichen Nutzerstatistiken (z.B. Zufriedenheit) wurden zusammengefasst und interpretiert, der Medien-Bestand des Patienteninformationszentrums vorgestellt, finanzielle Investitionen aufgelistet.
Weiter wurden Beteiligte aus der Klinik mit Fragebögen oder Interviews befragt: Patienten, Pflegende, Ärzte und andere Berufe, die Leitungsebene und die im PIZ Arbeitenden. Besonders interessant war die Befragung der Nicht-Nutzer, ebenso wurde der Info-Flyer analysiert. Ergänzt wurde die Evaluation durch eine 2tägige nicht-teilnehmende Beobachtung im PIZ, dabei wurden verschiedene Nutzertypen beschrieben. Schließlich wurde ein Pressebericht über die ersten 18 Monate zusammengestellt. Aus dieser ersten Evaluation resultierte eine Änderung des Nutzer-Erhebungsbogens und ein neuer Info-Flyer.
Acht Jahre später wurde ein BMBF-Forschungsantrag gestellt, dabei ging es darum, überhaupt eine Kriteriologie für eine Evaluation dieser Einrichtungen zu stellen. Dieser Antrag wurde abschlägig beschieden. Im Kommentar zur Ablehnung hieß es, dass diese Einrichtung zu neu sei, kaum auf Verfahren und Instrumente zurückgegriffen werden könne, deswegen käme eine Förderung wegen der Vielzahl von Lücken nicht infrage.
Materialien
Handreichung zum Aufbau eines PIZ
Das Netzwerk Patienten- und Familienedukation in der Pflege e.V. hat 2012 eine Handreichung zur Implementierung von Patienten-Informationszentren in Einrichtungen des Gesundheitssektors erstellt. Diese beschreibt beispielhaft die Aufgaben eines PIZ und zeigt seine Implementierung. Daneben werden Argumente für die Errichtung eines Patienten-Informationszentrums dargelegt.
Download
Schülereinsätze im PIZ Lüdenscheid
Schüler der Krankenpflegeschule Lüdenscheid im Einsatz im Patienten-Informations-Zentrum. Ein Bericht von Johanna Gossens, Oktober 2004.
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Förderprojekt im PIZ Lippstadt
Abschlussbericht über das Robert-Bosch-Förderprojekt im PIZ Lippstadt „Schulung pflegender Angehöriger in der häuslichen Umgebung als neues Handlungsfeld für Pflegende“ von 2003.
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